Gastbeitrag von Maximilian Csef
Es geht hier um nichts fundamental Neues. Es geht um Stille. Ein Bedürfnis, das wir alle teilen, aber gerne vergessen. Ich will diesem Bedürfnis ein paar Zeilen widmen
- Weil Stille immer da ist, aber eine besondere Fähigkeit von uns verlangt, wenn wir ihr Raum geben wollen
- Weil Stille als Einkehr unsere Fähigkeit neue Lernerfahrungen zu verarbeiten begünstigt (Neuroplastizität)
Stille ist als ein besonderes, menschliches Bedürfnis
Wenn ich frage „Wie können wir Stille beschreiben?“, dann kommen jedem von uns sicher Gefühle, Empfindungen und ein inneres Bild hoch. Und wir merken vielleicht, dass Stille schwer in Worte zu fassen ist. Und das, obwohl sie ein Bedürfnis von uns allen ist.
Stille ist ein besonderes Bedürfnis, weil Stille so flüchtig ist. Deswegen bleibt das Bedürfnis oft unerfüllt. Und unerfüllte Bedürfnisse verschaffen sich ihren Raum – in Aggression, Traurigkeit, oder Stimmungen, die wir nicht greifen können. In einer Gesellschaft, die Beschäftigt sein und Leistung idealisiert, liegt mir am Herzen, dass wir uns das immer wieder klarmachen: Stille ist das Bedürfnis, das diejenigen, die ständig auf der Jagd nach mehr und nach Neuem sind, niemals erfahren werden.
Stille als Luxusgut
Stille ist ein Luxusgut, weil sie flüchtig und nicht weit verbreitet ist. Aber dieser Luxus ist nicht den Menschen vorenthalten ist, die viel haben. Entgegen unserer Vorstellung von Luxus, ist Stille ein kostenloses Erlebnis, das überall zu haben ist und nicht in der nächsten Saison ausgewechselt werden muss.
Die Stille kann ja jederzeit auftauchen – direkt vor unserer Nase, in der Küche, am Berg, in der Warteschlange, vorm PC, mitten im Straßenverkehr. Wir schaffen sie uns selbst, wenn wir einfach im Moment sind. Das gelingt jedem ganz auf seine Art – z.B. wenn wir beim Duschen Tropfen auf der Haut beobachten, Sonne spüren, ein Glas staunend anfassen, dem Verkehr lauschen oder unseren Atem wahrnehmen.
Das Besondere auf dem Weg zur Erfüllung unseres Bedürfnisses nach Stille liegt darin, dass wir etwas weglassen müssen. Dabei sind wir es ja gewohnt etwas zu tun oder hinzuzufügen, um etwas zu erreichen. Aber Stille ist einfach da. Der Luxus besteht im Weglassen.
Ja, weglassen ist eine Stärke. Denn es bedeutet mit der angeborenen Verlustangst umzugehen, die auftritt, wenn wir etwas weggeben oder in Kauf nehmen etwas zu verpassen.
Autopilot und Unruhe
Corona hin oder her, häufig durchlaufen viele von uns die Tage wie von einem Autopiloten gesteuert. Wir schlafen, folgen unseren Routinen, schalten unsere PCs ein, nehmen an Meetings teil, unterhalten uns und lesen Nachrichten. Wenn wir dann aus dem Trott ausbrechen, in Stille sitzen und gerade keinem Ziel folgen, dann spüren wir häufig das Gegenteil von Stille. Es geht nicht leicht die Stille fortzusetzen, einfach nur dazusitzen oder einfach nur zu gehen.
Unser Geist lässt schnell den wiederkehrenden Autopiloten zu, der keine Hilfe für unser Bedürfnis nach Stille ist. Leicht entscheiden wir uns dann etwas zu tun, über etwas nachzudenken oder geben uns einem Gefühl hin anstatt die Stille mit uns selbst auszufüllen. Der ständige Impuls uns abzulenken und der Autopilot sind eine Antwort auf die Unruhe in uns selbst. Diese Unruhe ist unser innerer Angstgegner und bleibt für viele deshalb lieber ein unerforschter Zustand.
Neurobiologisch wäre anders besser
Wenn wir uns erlauben mit Stille mehr bei uns selbst einzukehren, dann nehmen wir die Unruhe erst einmal mehr wahr. Ja. Und gleichzeitig schaffen wir eine total wichtige Voraussetzung dafür, dass sich unser Gehirn als Reaktion auf Erfahrungen verändern kann. Das ist die häufig gepriesene Neuroplastizität. Die unter anderem hilft mit der Unruhe umzugehen. Denn Forschungen der Neurowissenschaftler Daniel Siegel und David Rock zeigen, dass Einkehrzeit hilft neuronale Netze zu stärken, die für Emotionsregulierung, Empathie und die Fähigkeit Aufmerksamkeit zu halten zuständig sind.
Was meinen sie mit Einkehrzeit? Ganz verschiedene individuelle Wege um unseren Fokus nach innen zu richten und unsere Aufmerksamkeit auf unser Körperempfindungen, inneren Bilder, Gefühle und Gedanken zu richten. Wichtig ist, dass wir tägliche Einkehrzeiten haben. Neben formalen Achtsamkeitsübungen eignet sich Stille dafür wunderbar. Denn sie ist ja immer da.
Jeder von uns ist eine Insel
Der Autor Erling Kagge packt Stille in ein schönes Bild: „Ja, wir sind alle Teil eines Kontinents. Doch das potentielle Vermögen eine Insel für uns selbst zu sein, tragen wir ständig mit uns herum.“
Die Welt auszusperren heißt ja nicht seiner Umgebung egoistisch den Rücken zuzukehren, sondern im Gegenteil: Es heißt sich darin zu üben die Welt deutlicher zu sehen, unvoreingenommen durch den Alltag und in Beziehungen zu gehen, eine Richtung beizubehalten und das Leben zu lieben.
Was kannst du tun?
Schön, dass du den Worten hierher gefolgt bist. Denn jetzt bist du mit deiner Stille dran. Ich lade Dich ein in den nächsten Tagen zu erforschen mit welchen zwei innerlichen oder äußerlichen Aktivitäten du Dir am meisten deine Einkehrzeit vertreibst? Was tust du und was brauchst du eigentlich?
Welche Ideen du hast, um Dir einen Anker für deine „Insel der Stille“ zu setzen. Schreib Sie am besten jetzt auf und probiere mindestens die nächsten 3 Tage jeweils einen Anker aus. Und dann versuch täglich dranzubleiben.